Hilde Thon zum 110 Geburtstag

Hilde Thon, 1910 in Dessau geboren, aufgewachsen in Deutschland und der Schweiz, arbeitete als diplomierte Bibliothekarin, Übersetzerin und Dolmetscherin.
Angeregt durch den Gautinger Maler Hans Schellinger (1905–1990) – »mal halt auch!«– begann sie 1952 zu malen. Adolf Kleemann (1904–1989) war ein weiterer Mentor. 1958 beendete sie ihre berufliche Tätigkeit als Bibliothekarin (nach Reichssender München, Amerika Haus, Quäker Studentenstuben, Internationaler Jugendbibliothek und Die Neue Sammlung), um sich neben freiberuflichen Übersetzungsarbeiten ganz der Malerei zu widmen.
Die gewonnene Unabhängigkeit nutzte sie zu verschiedentlichen Mal- und Studienreisen an den Gardasee, auf die Inseln Föhr, Sylt und Ischia oder in die Bretagne und nach England. Von diesen Reisen gibt es viele kleine Bilder, Skizzen und gezeichnete Postkarten.
Den körperlichen Einschränkungen geschuldet, entstanden in den letzten Lebensjahren nur kleinformatige Filz- und Farbstiftzeichnungen.
Bis heute ist Hilde Thon mit ihrer »wandelnden Gestalt von auffälliger Größe« ebenso in lebhafter Erinnerung geblieben wie als sprachmächtige und immer auch gern streitbare Gesprächspartnerin und geschätzte Gautinger Persönlichkeit. Vielseitig interessiert, aufgeschlossen und auch neugierig, war sie in unterschiedlichsten Kreisen und Gruppierungen unterwegs und wusste viel von den Treffen des Tukankreises in der Gautinger Bahnhofswirtschaft zu berichten, in der »gleich nach dem Krieg, immer einer saß« – der (Obertukan) Rudolf Schmitt-Sultzthal (1903-1971) – und weitere Gautinger Originale, »… dann der Aulich und der Kusche und wer halt da eben mit der Bahn kam, der guckte da mal rein …«.
Gut eingeführt in die Gautinger Künstlerkreise um Hans Schellinger, Karin und Ludwig-Maria Beck, Hans Olde, August Bresgen, Lore Masius, Julius Himpel und Thomas Niederreuther, Stefan Britt sowie die Familien Hugger und Kirchheim, beteiligte sie sich an den Pleinair-Malunternehmungen, am gegenseitigen Porträtieren und selbstverständlich auch regelmäßig an den Ausstellungen des Gautinger Kunstvereins. Als interessierte Leserin war sie Gast bei den Lesungen in der Buchhandlung Kirchheim und gern gesehene Teilnehmerin an den Filmgesprächen mit Eckart Bruchner.
Erste Einblicke in ihre Arbeit brachte die Ausstellung im damaligen Don-Bosco-Heim 1968, wo sich ihre Bilder neben denen von Ottilie Kasper und Rosemarie von Hacke gut behaupten konnten. Bei der retrospektiven Ausstellung 1981 im Atelier Lobisch in der Germeringer Straße kamen erstmals die frühen Gouachen ans Licht. Diese vorher kaum je gezeigten Arbeiten sorgten für Aufmerksamkeit und auch großen Erfolg bei Käufern. 2Porträtieren – »um zu überleben«. Sechste Kunstausstellung im Don-Bosco-Heim wird eröffnet — Rudolf Hanauer Schirmherr; Münchner Merkur, Starnberg 1968, Nr. 84
• Konfrontation mit der Kunst — Rudolf Hanauer eröffnet sechste Kunstausstellung im Gautinger Don-Bosco-Heim; Münchner Merkur 1968, Nr. 88/89
• Anneliese Häfele, Hilde Thon zeigt ihre Bilder;
Land- und Seebote 1981, Nr. 12
• Ingrid Zimmermann, Vernissage in Gauting:
Hilde Thon geht ihren eigenen Weg.
Ausstellung im Atelier Lobisch noch bis zum 19. Dezember geöffnet; Süddeutsche Zeitung Landkreis Starnberg 10. Dezember 1981
• Im Garten der Großstadt: Bilder, Orte, Inspiration.
Gauting 2010, S. 46/47

Häufige Umzüge im Ort brachten es mit sich, dass sie nicht nur Personen aus verschiedenen Milieus kennen lernte, sondern mit den Ortswechseln änderten sich die Einblicke in Häuser oder die Ausblicke in Gärten und Umgebung. Kleine Aufzeichnungen, Skizzen auf Aquarellkarton und Postkarten sind Dokumente mehrerer Kur- und Klinikaufenthalte.
Neben Gelegenheitsgedichten und anspruchsvollen Übersetzungen förderte der Nachlass einen bemerkenswerten Text zutage: herausgefordert von – und vor allem im Widerspruch zu – einem Text von Sigismund von Radecki 3Sigismund von Radecki (1891-1970): Anatomie der Tante. Vermutlich In: Die Neue Zeitung v. 15. 8. 1954, beschreibt sie in einem Tantenspiegel genannten, unveröffentlichten Essay in launigen Worten sowohl Strategie als auch Funktion von Nenn- oder leiblichen, einschichtigen Tanten gegenüber Kindern und deren Eltern. Sie hatte reichlich Gelegenheit zur Erprobung, denn Kinder wurden ihr gerne anvertraut.
So verdanken wir ihrem Geschick und Einfallsreichtum im Umgang mit Kindern eine Reihe reizvoller Kinderporträts. Es sind vor allem die Kinder ihrer Freunde und deren Spielgefährten in der Parkstraße und der Kreuzlingerforststraße. Später kamen die Teenager und deren jugendliche Freunde hinzu.
Die Malerei von Hilde Thon reflektiert – oder besser noch ist eingebettet in – den regionalen Gautinger Kontext und seiner Künstler, bestimmt durch die malerischen und auch dekorativen Traditionen der Nachkriegszeit. Auch die klassische Moderne scheint auf, die sie sich aneignete, ohne sich darin zu verlieren.
Unbekümmert von akademischen Kunstfertigkeiten baute sie mit Kunstverstand und viel Farbempfinden ihre Bilder zunächst mit Gouache und dicht aufgetragenen, farbigen Flächen. Sie erwuchsen aus dem Bestreben, Eigenschaften von Innenräumen, Landschaften, Blumen oder Personen zu erfassen. Den Gouachen folgten die Arbeiten auf Papier mit pastosen Ölfarben. Da diese das Papier schwer und brüchig machen und die Alterungsbeständigkeit einschränken, wechselte sie bald zu Hartfaserplatten, Leinwänden und Malkartons.
Neben dem malerischen Rat von Schellinger und auch Kleemann – »… verdanke beiden alles, was immer ich erreicht habe …« –, kultivierte sie ihre zeichnerischen Fähigkeiten in Abendkursen bei Stefan Britt.
Die zutiefst malerisch gedachten, farblich ungewöhnlichen Überhöhungen und gesetzten Akzente bestimmen durchgehend die ausgeprägte Stofflichkeit ihrer Bilder, deren Qualität zunächst nur von Wenigen erkannt oder geschätzt wurde. Das änderte sich merklich nach der Ausstellung im Don-Bosco-Heim 1968. Hans Schellinger bezeichnete sie »als die Beste«, wie aus einem Brief seiner Tochter an Hilde Thon im April 1968 hervorgeht.
Möglicherweise empfanden die porträtierten Freunde, darunter bekannte Gautinger Persönlichkeiten, ihre Konterfeis als wenig schmeichelhaft; aber trotz mancher Unbeholfenheit oder Vernachlässigung von Proportionen, entfalten gerade diese Porträts eine kraftvolle Präsenz, die den Dargestellten gut charakterisieren, ohne ihn je zu idealisieren. Auch ihre Selbstporträts zeugen von mutiger Schonungslosigkeit. Dem Guten, Wahren, Schönen begegnete sie immer mit höchstem Misstrauen und oft auch mit bissigem Spott.
Zum 110. Geburtstag und zwanzig Jahre nach ihrem Tod bietet dieser Überblick aus dem Nachlass eine gute Möglichkeit, die Künstlerin Hilde Thon und ihre vielschichtigen Bilder wieder neu zu entdecken.
Sie haben nichts von ihrer Ausstrahlung verloren!